Die Auswirkungen der Mahd auf Wildtiere und warum wir Rehkitze vor dem Mähtod retten müssen
Die Mahd
Die Landwirte mähen die Wiesen wiederholt zwischen Mai und Oktober, um Futter für ihre Stalltiere zu gewinnen. Das gemähte Gras wird entweder frisch verfüttert, siliert, oder auch zu Heu getrocknet. Silage und Heu sind haltbar und können daher ganzjährig gefüttert werden. Zur Mahd werden in der Regel am Traktor montierte Kreiselmäher verwendet. Bis zu drei Mähwerke können an Heck oder/und Front des Traktors angebaut werden, wodurch Arbeitsbreiten zwischen 2 m und 15 m erreicht werden. Je nach Grashöhe, die zwischen ca. 20 cm und 1 Meter liegen kann, wird mit einer Geschwindigkeit von bis zu 20 km/h gemäht. Abhängig vom witterungsbedingten Wachstum wird das Gras zwischen Mitte Mai und Anfang Juni reif für den ersten Schnitt und ist dann meist 60 cm bis 1 m hoch.
Versteckte Rehkitze
Rehe haben ursprünglich Waldränder und Lichtungen bewohnt, sind aber inzwischen auch an fast deckungslose Agrarsteppen angepaßt. Ihren Nachwuchs, die Kitze, bringen sie im Mai und Juni zur Welt und zwar zeitlich angepaßt an das witterungsbedingte Wachstum des Grases. Hohes Gras bietet einerseits Nahrung im Überfluß für das Muttertier, die Geiß, andererseits das notwendige Versteck für die Kitze. Diese begleiten nämlich in den ersten ca. 10 bis 14 Lebenstagen nicht die Geiß, sondern liegen allein in hohem Gras am Wiesenboden. Die Geiß bleibt in der Nähe, sucht das Kitz etwa alle 4 Stunden an dessen Lager zum Säugen auf und geht dann wieder. Vor ihren natürlichen Feinden, Fuchs, Wolf und Steinadler sind die Kitze im hohen Gras verborgen und geschützt. Unterstützend wirkt dabei das tarnend gefleckte Fell, der in den ersten Lebenstagen fehlende Körpergeruch, und der fehlende Fluchtinstinkt. Da Flucht in hohem Gras für die kleinen Tiere aussichtslos wäre, „drücken“ sie sich bei Störungen , d. h. sie verharren bewegungslos, ihre natürlichen Feinde nehmen sie nicht wahr. Die Schutzstrategie versagt, wenn die Wiese mit Kreiselmähern gemäht wird. Für den Traktorfahrer ist es nahezu unmöglich, bei der Arbeit ein Kitzlager zu erkennen. Selbst für einen Menschen, der zu Fuß die Wiese absucht, ist es sehr schwer und außerdem zeitraubend, ein Kitz in hohem Gras Wiese zu entdecken.
Die Silage
Das Silieren wandelt Gras in Silage und macht es haltbar. Dazu muss es nach dem Mähen angetrocknet und danach luftdicht eingeschlossen werden. Dann vergären auf dem Gras vorhandene, anaerobe Bakterien den Zucker im Gras, wobei u. a. Milchsäure ensteht, die bei einem pH-Wert von 4 bis 4,5 konservierend wirkt. Im nebenstehenden Bild sind Silageballen zu sehen; das geschittene Gras ist hier maschinell in viele Lagen einer Kunsstofffolie eingewickelt und so auch portioniert. Die Folie sorgt einerseits für den notwendigen Luftabschluss und ist andererseits eine wetterfeste und robuste Lager- und Transportverpackung.
Zu den vielen in der Natur vorhandenen Bakterienarten gehört auch die Gruppe Clostridium Botulinum, die als Sporen in Staub und im Boden vorkommen. Aus den Sporen entwickeln sich unter Luftabschluß auf tierischem Eiweiß die Bakterien. Sie vermehren sich und verstoffwechseln das Eiweiß, wobei Gifte der Gruppe Botulinumtoxin entstehen. Das geruchlose Nervengift ist bereits in sehr geringen Mengen für Menschen und viele Wirbeltiere tödlich. Sind Kadaverteile von Rehkitzen o. ä. in den Siloballen, so kann sich dort Clostridium Botulinum entwicklen.Werden Kühe oder Pferde mit der Silage gefüttert, sterben sie im schlimmsten Fall daran. Es sind Vergiftungen mit dieser Ursache aufgetreten, bei denen zehn und mehr Rinder mit nur einer verunreinigten Futtergabe verendeten. Aus einem bei der Mahd getöteten Kitz kann also großer wirtschaftlicher Schaden entstehen.
Wildrettungsstrategien
Auch wenn die Rettung von Rehkitzen hier im Vordergrund steht, ist es zweckmäßig, die Problematik der Wiesenmahd umfassend zu betrachten. Neben den Rehkitzen sind auch Junghasen und vor allem Bodenbrüter (Fasan, Rebhuhn, Kiebitz, Brachvogel, Lerche und viele andere Singvögel) und deren Brutgelege bedroht. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, Wildtiere vor dem Mähtod zu bewahren. Jede dieser Methoden ist besser, als gar nichts zu tun. Dabei spielt die Tierart und ihr Verhalten für den Erfolg der Maßnahme eine entscheidende Rolle. Prinzipiell kann man alle Ansätze zur Wildtierrettung in folgende drei Kategorien unterteilen: vergrämen, vertreiben, finden und in Gewahrsam nehmen und die Wiese oder den Wiesenbereiche von der Mahd ausnehmen.
Mähstrategie
Das ist – aus Sicht der Wildrettung – die billigste und zugleich einfachste Methode. Für den Landwirt allerdings nicht die profitabelste Art der Futterernte.
Suchen und Bergen
Zuverlässiger – aber meist auch aufwendiger – ist diese Strategie. Die zu mähende Fläche wird komplett abgesuch. Gefundene Tiere werden herausgetragen oder vor Ort eingesperrt.
Mähstrategie
Der effektivste Schutz ist ein geeigneter Mähzeitpunkt. Ca. 96 % der Rehkitze werden in den Monaten Mai und Juni geboren. Wenn der erste Schnitt in den Monat April und der zweite Schnitt erst spät im Juli stattfindet, dann werden viele Kitze verschont.
Auch die Art des Mähwerks hat Auswirkungen auf die Zahl der Opfer. Es gibt heute bereits Mähmaschinen mit 14m Arbeitsbreite und Arbeitsgeschwindigkeiten von bis zu 24 km/h. Ihnen können manchmal selbst ausgewachsene Rehe nicht rechtzeitig entkommen. Mähbalken haben sich im Gegensatz zu Sensen und Kreiselmähern in zahlreichen Untersuchungen als für die Fauna schonendste Mahdvariante herausgestellt. Viele kleinere Tiere – unter anderem Feldhasen – werden verschont, wenn die Schnitthöhe mindestens 12 cm beträgt. Bei dem Befahrmuster werden die beiden in der Abbildung nebenan gezeigten Varianten empfohlen, damit fluchtfähige Tiere eine Chance zur Flucht haben. Kitzen in den ersten Lebenstagen hilft das aber nicht.
Scheuchen
In Schweden wurde in den Jahren 1998 und 1999 eine Untersuchung über die Wirksamkeit von Plastik-Müllsäcken, die auf Holzpflöcken als Scheuchen dienten, durchgeführt. Der korrekte Einsatz der Scheuchen führt laut Autor dazu, dass signifikant mehr Kitze aus der Wiese geführt werden als ohne Scheuchen. Bei dem Versuch holten die Ricken am ersten Tag nach dem Aufstellen der Scheuchen 18 von 22 Kitzen aus der Gefahrenfläche. Ein zu frühes Aufstellen verursacht eine Gewöhnung an die Scheuchen. Wenn die Scheuchen allerdings zu spät aufgestellt werden, kann es sein, dass die Ricke nicht mehr ausreichend Zeit hat, ihre Kitze in Sicherheit zu bringen. Deshalb sollten die Scheuchen 1 – 2 Tage vor der Mahd aufgestellt werden. Neben den einfachen Plastiksäcken gibt es eine Reihe an kommerziell erwerbbaren Scheuchen, die optische, akustische oder olfaktorische Reize aussenden, um die Tiere zu vertreiben. In der Abbildung nebenan sind verschiedene Scheuchen abgebildet. Die Reichweite einer optisch/akustischen Scheuche beträgt nach Angaben mehrerer Hersteller ca. 100 m. Die olfaktorische Scheuche hat eine Reichweite von 10 – 20 m. Einige Jäger schwören auf das „Verstänkern“durch ihren Jagdhund. Indem sie mit ihren Hunden durch die Wiese laufen, wird der Hundegeruch im Feld verteilt, was ähnlich wie die oben genannten Scheuchen wirken soll. Auch das Anmähen einer Fläche am Abend vor der Mahd hat einen vergleichbaren Scheucheffekt. In jüngster Zeit wurden häufig verschiedene akustischeWildretter mit einem Geräuschpegel von bis zu 120 dB beworben, die man an das Mähwerk montieren kann. Rehkitze, die jünger als 3 Wochen sind, kann man damit allerdings nicht verscheuchen. Ebenso gibt es Schutzvorrichtungen für Mähwerke, die wie ein Kamm den Bereich vor dem Mähwerk durchkämmen. Rehkitze, die ca. 3 – 5 Wochen alt sind, schrecken auf, wenn sie von so einer Vorrichtung berührt werden.
Suchen und Bergen
Hunde können Kitze trotz ihrer geringen Witterung mit ihrer Nase finden. Solche Vorstehhunde können in speziellen Hundeschulen ausgebildet werden. Die Suche mit ihnen ist oft erfolgreicher als mit Menschenketten wie in Abbildung nebenan. Mancherorts werden ganze Schulklassen dazu angeheuert, die Wiesen zu Fuß abzulaufen, um die darin versteckten Rehkitze zu finden.
Ein seit vielen Jahren bewährtes System ist der Infrarot Wildretter, welcher von der Firma ISA Industrieelektronik vertrieben wird. Das ist eine 5 m lange Stange, die mit Infrarotsenosoren ausgestattet ist. Diese Stange hängt man sich um und trägt sie wie im Bild zu sehen durch die Wiese. Wenn etwas Warmes in der Wiese liegt piept das Gerät.
Am meisten Flächenleistung schafft man allerdings mit einer Wämebildkamera-bestückten Drohne. Hiermit kann eine Flächenleistung von ca. 20 ha pro Stunde erreicht werden.
Tier vermäht
Gerät ein Kitz in ein Mähwerk, so wird es dabei in der Regel getötet. In vielen Fällen überlebt es auch mit schweren oder leichteren Verletzungen. Dann sollte sofort der zuständige Jagdpächter informiert werden, der als Jagdberechtigter über das weiter Vorgehen entscheidet. Mit leichten Verletzungen kann das Tier mit oder ohne Versorgung nach der Mahd wieder freigelassen werden. In Einzelfällen können Kitze, denen z. B. ein Bein abgetrennt wurde, vom Menschen aufgezogen werden. Das dreibeinige Reh kann später nicht in die Natur entlassen werden, sondern bleibt zeitlebens in menschlicher Obhut. Bei schwereren Verletzungen muss das Kitz getötet werden.
Der Mähtod kann aber auch noch weitere Folgen haben. Im schlimmsten Fall muss der Verursacher mit einer Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren rechnen. Siehe Gesetzeslage.
Außerdem kann es für den Landwirt noch zu wirtschaftlichen Schäden kommen, wenn Kadaverteile im frisch geschnittenen Gras verbleiben.